
Piefkes im Ösi-Land
So nahe sich zwei Völker stehen können, so unterschiedlich kann deren Sprache und Sprachgebrauch sein. "Wenn Piefkes und Ösis auf einander treffen..."
Angenommen ein Österreicher müsste eine Verabredung kurzfristig absagen, dann könnte das so klingen: „Du, Verzeihung, aber das tut mir jetzt schrecklich leid. Das geht sich nicht aus, heute“. Fragt man einen mit dem österreichische Sprachgebrauch mehr oder weniger vertrauten Deutschen, was er an Stelle von „Das geht sich nicht aus“ sagen würde, übersetzt er gerne: „Das kommt nicht hin“. Und der Österreicher wäre erstaunt über die plötzliche Geschlechtsumwandlung wie Mark Twain über die deutsche Sprache mit ihren geschlechtslosen jungen Frauen ("das Mädchen"?!) und den weiblichen männlichen Körperteilen (siehe Mark Twains humoristischen Essay über die "Awful German Language").
Neben derartigen Formulierungsunterschieden können auch ganz banale Dinge Verwirrung stiften. So könnte man leicht in Versuchung geraten, den„Häferlkaffee“ für eine ganz eigene Kaffeesorte zu halten und ist weit entfernt davon, auch nur zu ahnen, was denn ein „Mistkübel“ sein könnte. Im Gespräch mit einer älteren Dame könnte man sich zudem fragen, was denn – um Gotteswillen – ein „kommodes Kombinäsch“ sein soll oder ein „gscherter Gschaftlhuber“.
Wenn man also sowohl in Deutschland als auch in Österreich Deutsch spricht, heißt das noch lange nicht, dass die Kommunikation immer reibungslos ablaufen muss, sondern dass Wortschatz und gewohnte Phrasen doch sehr unterschiedlich sein können.
Eine besondere Hürde in der alltäglichen Konversation ist der Wiener Schmäh, der selbst für den Durschnittsösterreicher eine Herausforderung darstellen kann. Was könnte ein Wiener wollen, wenn er sich ein Sechzehner-Blech und eine Eitrige mit Buckel bestellt? Höchstwahrscheinlich befindet er sich dann am Würstelstand und möchte Ottakringer Bier (Ed.: Ottakring ist der 16. Wiener Gemeindebezirk), eine Käsekrainer und ein Stück Brot.
Irene Binal bezeichnet den Wiener Schmäh als „spezielle Art der Umgangsform, hintergründig, indirekt und voller versteckter Anspielungen“. Es handelt sich um eine Mischung aus schwarzem Humor, Sprachwitz und Lebensart. Mal charmant, ein gewisses Maß an Schlitzohrigkeit nicht ausschließend, mal sehr derb und frech und doch auch liebenswert, denn in Wien wird nichts so heiß gegessen, wie gekocht. Der Wiener ist hin und her gerissen zwischen Schwermütigkeit und Leichtigkeit, was sich in seiner Sprache manifestiert. (Weitere Informationen: http://www.dradio.de/dlr/sendungen/kompass/342857/)
Besonders deutlich wird diese Art von Humor im Programm Josef Haders, dessen Bedeutsamkeit keiner näheren Erläuterung mehr bedürfen sollte, da er auch in Deutschland große Erfolge verzeichnet. Für diejenige Minderheit, die tatsächlich noch nie von ihm gehört haben sollte, bleibt nur anzumerken: Zeit wird’s! Haders CD "Wienerisch mit The Grooves" bietet eine ideale Unterlage für all jene, welche sich die Sprache der Wiener spielerisch aneignen möchten. Ebenso empfehlenswert ist Haders Fernsehfilm "Die Aufschneider", welcher speziell für Deutsche mit Untertiteln verfügbar ist. Ein solch ein Aufschneider ist der Pathologe Prof. Dr. Fuhrmann, ein irgendwie doch liebenswerter Grantler, der Probleme im Beruf wie auch Privatleben bewältigen muss und dabei den Stereotypen eines Wieners schlechthin darstellt. Haders schwarzer Humor kommt in dieser Rolle wunderbar zur Geltung. Sogar als Österreicher kommt man kaum aus dem Staunen, wie viele Übersetzungen es doch für das einfache Wörtchen "deppat" gibt und wie arm unsere Nachbarn sind, da sie ohne solch ein Universalwort auskommen müssen. Der Ausdruck „bist du deppat“ muss beispielsweise im Sinne von „ich glaube, ich träume“ verstanden werden und nicht - wie naheliegend - als Beschimpfung. Der Österreicher schiebt lieber dem anderen die Schuld zu, während der Deutsche sie bei sich selbst sucht. Auch hier tritt wieder die derbe und freche Seite des Wiener Schmähs zu Tage, eine besondere Spezialität Haders. Was in manchen Ohren als beleidigend empfunden werden könnte, entfacht in anderen herzliches Gelächter. Zudem kann man vom Pathologen Fuhrmann zahlreiche wichtige Wörter wie pipifein (traumhaft), Funsn (blöde Ziege), speiben (kotzen) oder pudern (miteinander schlafen) lernen, die man im normalen Alltagsleben vielleicht weniger antrifft, vorausgesetzt man hat einen normalen Alltag.
Auch durch die Musik von Kurt Ostbahn, Georg Danzer oder Wolfgang Ambros lässt sich das Wienerische gut lernen. Ein weiterer Vertreter und Sänger von Wienerliedern wie der „Reblaus“ ist der unvergessliche Schauspieler und ewige Grantler Hans Moser. Hier einige Auszüge aus den Liedern mit viel Wiener Humor:
Gestern foa i mit da Tramway Richtung Favoriten,
drauß´n regn'ts und drinnen stinkt's und i steh in der Mitt´n.
De Leit ob’s sitzen oder stengan, olle hams des fade Aug',
und sicher net nur in der Tramway, i glaub, des ham's den ganzen Tog! (Wolfgang Ambros: Zwickt's mi)
Es lebe der Zentralfriedhof,
auf amoi macht's an Schnoizer,
da Moser singt's Fiakerliad,
die Schrammeln spiel'n an Woizer.
Auf amoi is die Musi still
Und alle Aug'n glänzen,
weu dort drüb'n steht der Knochenmann
und winkt mit seiner Sens'n. (W. Ambros: Es lebe der Zentralfriedhof)
Im gonz'n Gretzl wiad's scho dazöht,
das mia da Biss bei de Hos'n föhlt,
sogoa die Blade aus da Trafik,
hob i verärgert durch ein Missgeschick,
i kauf ma bei ihr a Packl Kent,
und denk ma mochst ihr ein Kompliment,
i sog "Heast G'füde du bist a Wüde",
drauf gibts ma ane und spüd die Prüde. (Georg Danzer: Der legendäre Wixer-Blues)
Ich muss im früh'ren Leben a Reblaus g'wesen sein,
sonst wär' die Sehnsucht nicht so groß nach einem Wein;
d'rum tu den Wein ich auch nicht trinken, sondern beißen,
und hab den Roten grad so gern als wie den Weißen.
Und schwören könnt' ich, dass ich eine Reblaus g'wesen bin,
ich weiß bestimmt, ich hab' gehaust in einem Weingarten bei Wien,
d'rum hab' den Gumpoldskirchner ich so vom Herzen gern,
und wenn ich stirb, möcht ich a Reblaus wieder werd'n. (Hans Moser: Die Reblaus)
Und was genau ist nun das Wienerische?
Das Wienerische ist ein ostmittelbairischer Dialekt, welcher in Wien und Umgebung gesprochen wird und bis in das 13. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. Nachdem der deutsche Bund im Jahr 1866 aufgehoben wurde, entwickelten sich vor allem in der Verwaltung, der Esskultur wie im gesamten gesellschaftlichen Bereich Austriazismen, also österreichische sprachliche Eigenheiten. Der Einfluss der Kronländer wie auch des Jiddischen auf den Wiener Dialekt war sehr groß, außerdem hinterließ die französische Sprache Spuren in der Phonetik und dem Wortschatz.
Um sich möglichst schnell den Wiener Dialekt anzueignen, sollte man folgende Punkte beachten:
1. Den Genitiv – wer ihn kennt – gleich wieder vergessen.
2. Weil der Wiener im Gegensatz zu dem Deutschen Wert auf Tradition legt, hält er an seinen mittelhochdeutschen Wurzeln fest und bewahrt seine Diphthonge ie, üe, uo. (Bsp. mei Bruoder )
3. Der Wiener liebt den Diminutiv. Daher am besten immer ein -erl oder ein -chen an das Wortende stellen. (Bsp. Georg Danzers Hundstrümmerl Boogie, oder Danzer's Klassiker: "Sei' imma höflich" http://www.youtube.com)
4. Das Wiener Gemüt macht sich natürlich auch in der Sprache bemerkbar. Warum sich auch die Mühe machen und zwei Vokale nehmen, wenn man auch nur einen verwenden kann? „Es tut mir leid“ wird somit einfach zu „Es tuat ma lad“ mit besonders langem „a“, was wiederum den Charme des Wieners betont (Und schon wieder hätten wir ein passendes Georg Danzer Lied).
5. Da das Wienerische eine herzhaft weiche Sprache darstellt, werden die Konsonanten p, t und k zu b, d und g abgeschwächt.
6. Die doppelte Verneinung ist in Wien nicht selten zu hören. (Bsp. I bin net unglücklich. )
7. Was der Deutsche für fehlerhaft halten würde, ist für den Österreicher Ausdruck seiner einzigartigen Sprachfertigkeit: Das Bilden des Komparativs mit „wie“ anstelle von „als“. (Bsp. Ostbahn Kurti: Bessa ana wia kana)
8. Und der berühmteste Buchstabe in Wien: das aus der tschechischen Habsburger Provinz stammenden Meidlinger „L“ (Hörprobe auf: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c6/Meidlinger_L_Male.ogg) Da es sich hierbei um das wohl auffälligste und am schwersten zu imitierende Merkmal handelt, heißt es: üben, üben, üben!
Hier ein kurzes Österreichisch-Deutsches Wörterbuch, das sich in der „Alltagskommunikation“ als nützlich erweisen könnte.
1. Wenn jemand zu dir sagt: „Du bist a Koffer.“ ist dies keinesfalls als Kompliment aufzufassen im Sinne von praktisch oder bodenständig. Ein Koffer bezeichnet in Österreich neben dem Gepäckstück einen Idioten. Ein Vollkoffer ist dabei keine Verbesserung. Ähnlich negativ konnotiert sind Ausdrücke wie Pleampel, Dodl, Gfraßt oder Saubartl.
2. Bevor es zu unlustigen Irrtümern oder vermeidbaren Zwischenfällen kommt, sei angemerkt, dass der Begriff „Arschknödel“ nicht wörtlich genommen werden darf. Ein Arschknödel ist weder ein – wie vielleicht vermutet - Kloß noch hat ein Arschknödel die Form eines Gesäßes oder besteht gar aus Gesäßen. Und nein: ein Arschknödel kommt auch aus keinem Gesäß! Der sogenannte Arschknödel, auch Knödelreiter genannt, ist ein Stoß mit dem Knie in den Hintern eines Mitmenschen.
3. Eine weitere wichtige Phrase, deren Verständnis unter Umständen sogar über Leben und Tod entscheiden kann, ist „Geh dich brausen!“. Hierbei handelt es sich um keine Aufforderung zur dringlichen Körperpflege, sondern um ein ernstzunehmendes Gebot: „Schleich dich!“ oder auf Deutsch: „Verschwinde!“
4. Falls man eines Tages auf der Straße auf seinen „Goder“ angesprochen werden sollte, liegt dies höchstwahrscheinlich daran, dass man Träger eines Doppelkinns ist. Von Goder abgeleitet wurde das Verb goderln, was so viel bedeutet wie jemandem schmeicheln oder jemanden das Goderl kratzen ähnlich jemandem den Bauch pinseln.
5. Wenn man sich etwas mit einer „Grammel“ anfangen will, hat das manchmal recht wenig mit dem Rückstand von ausgelassenem Speck zu tun. Ebensowenig fett ist ein Grammeltreiber, es sei denn, er hat eine Vorliebe für kalorienreiches Essen. Ein Grammeltreiber ist nämlich ein Zuhälter. Was könnte denn nur eine Grammel sein?
6. Ein weiteres interessantes Kompositum ist die Oaschhackn. Für den gemeinen Österreicher nichts Ungewöhnliches darstellend, könnte man als Deutscher bei diesem Wort schon ins Grübeln geraten, was nicht heißen soll, dass es nicht auch in Deutschland Oaschhackn gebe. Nicht wenig enttäuschend ist die Tatsache, dass es sich hierbei lediglich um eine Drecksarbeit, also eine unschöne Tätigkeit, handelt.
7. Vielleicht ist dem einen oder anderen Deutschen schon mal die von Kindern geliebte Figur des Kasperl untergekommen. Vorsicht allerdings, wenn sich ein Herr neben dir in der U-Bahn einmal mit der Hand auf die Brust fassen sollte und gesteht, einen Herzkasperl zu haben. Dann sollte man ihn weniger beglückwünschen, als erste Hilfe zu leisten!
8. Ein sogenannter „Hurendiesel“ ist keine speziell für eine bestimmte Zielgruppe angelegte Marketingstrategie, um mehr Treibstoff zu verkaufen, sondern ein billiges Parfum, das mit einer bestimmten Personengruppe assoziiert wird.
9. Ein Jausengegner – auch wenn es nicht so klingen mag – ist eigentlich sogar ziemlich gern gesehn. Und dies sicherlich nicht, weil er vielleicht eine Abneigung gegen Kaffee und Mehlspeisen (= Süßspeisen) hat oder man sich mit ihm um eine Jause streiten muss. Einem Jausengegner begegnet man – wer hätte es gedacht - im Bereich des Sports. Es ist ein Gegner, den man praktisch mit links erledigt.
10. Schlussendlich der Nudelfriedhof: Ein Nudelfriedhof ist kein Topf mit alten Nudeln, so viel sei schon mal verraten. Mit ein wenig Abstraktionsvermögen sollte man schnell verstehen, warum man für eine Nymphomanin gerade diesen Ausdruck gewählt hat.
11. Ob Menschen Kohlensäure produzieren können? Gewiss, jedoch nicht durch bestimmte körperliche Tätigkeiten, so muss die Nuttenpisse ihren Namen auf andere Art und Weise gefunden haben, denn mit Sekt hat sie nicht sehr viel gemein.
12. Wenn man ein Hirn hat wie ein Nudelsieb, heißt das nicht, dass alles aufgefangen wird, wie man es von einem Nudelsieb erwarten würde – und nein, dieser Begriff hat nichts mit Nummer 10 zu tun. Es geht darum, dass man sich nichts merken kann.
13. Sich abpecken bedeutet nicht, aufeinander herumzupicken, sondern herzhaft zu lachen.
14. A Wuchtl drucken – darauf würde man als Nicht-Österreicher nie kommen – heißt, auf humorvolle Art und Weise die Unwahrheit zu sagen.
15. Ein Obezahrer hat's deutlich einfach als ein Aufezahrer und bezeichnet daher einen Faulpelz.
16. Hoit de Pappen ist ein Ausdruck, den man häufig hört, sofern man gerne redet und vor allem viel. Er bedeutet "Hoit die Goschen" bzw. "Halt's Maul".
17. Ein Krawallhansl plärrt und want und blazt die ganze Zeit und macht überhaupt sehr viel Krawall.
18. Palatschinken werden in Österreich geliebt, aber auch die Deutschen kennen sie und zwar unter dem Namen Pfannkuchen.
19. Anzahn hat nichts mit einem Zahn zu tun, sondern mit dem Anziehen, jedoch nicht im Sinne von Gewand anziehen (= Kleidung). Es geht darum, sich zu beeilen, also darum, das Tempo zu beschleunigen.
20. Das Lulu kennt doch jedes Kind! Als müsste man das noch erklären... Das Substantiv bezeichnet den Urin, das Wort ist jedoch auch als Verb gebräuchlich. Außerdem findet es neuerdings Anwendung als Schimpfwort im Sinne von Schwächling.
Mit diesem Vokabular ist der frisch importierte Deutsche bestens ausgerüstet um im wilden, rückständigen Nachbarland überleben zu können. Wenn er dann noch das Granteln und das Sudern lernt, wird ihn kaum noch einer von einem Österreicher unterscheiden können. Und dass er Wörter wie Sessel, Semmel oder Szegediner Gulasch nicht kennt, wird ihm bei seinem neu erworbenen Spezialwortschatz niemand übel nehmen können.
Text: S.T.
Edition: Martin Mössmer